Brauchen wir wirklich mehr Kinder?
Was haben die AfD, Elon Musk und der Papst gemeinsam? Antwort: sie alle werben dafür, dass die Menschen mehr Kinder bekommen und liegen damit total falsch.
Zugegeben, es ist etwas gewagt, diese drei oben genannten in einen Topf zu werfen, aber es geht hier lediglich um diese eine Gemeinsamkeit und die ist nicht zu unterschätzen. Die Menschen sollen mehr Kinder bekommen. Aber warum? Die Motive sind bei allen drei höchst unterschiedlich:
- Der Papst hat sich wieder mal besorgt über die stark rückläufigen Geburtenraten in Europa und insbesondere in Italien geäußert und Paare kritisiert, die keine Kinder bekommen wollen. Es ist nichts neues, dass sich der Papst für eine Erhöhung der Geburtenzahlen ausspricht, denn die katholische Kirche (und auch die meisten anderen Glaubensgemeinschaften) wollen ja, dass sich ihre Anhänger fleißig vermehren und mehr Katholiken die Welt bevölkern. Das ist eine der einfachsten und grundlegendsten Strategien im ewigen Kampf um die globale Glaubensherrschaft. Die unnachgiebige Haltung der Kirche zu den Themen Abtreibung und Verhütung ist ja bekannt. Der Papst verfolgt also keine Interessen im Sinne des Gemeinwohls wenn er sich für eine Steigerung der Geburtenzahlen ausspricht, sondern bekräftig angesichts der massiven Kirchenaustritte erneut das uralte biblische Diktat: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. (Das Erste Buch Mose, Genesis, 28)“. Auf die Folgen dieses leider sehr realen Größenwahns kommen wir später noch zu sprechen.
- Elon Musk ist, Stand Oktober 2021, der reichste Mensch der Welt und Vater von neun Kindern (sein sechstes Kind aus dritter Ehe wurde auf den unbegreiflichen Vornamen „X AE A-XII“ getauft). Musk hat nicht nur viele Kinder, er will auch dass wir alle mehr Kinder bekommen. Als Begründung gibt er an: „Es gibt nicht genug Menschen! Merkt euch meine Worte! Wenn die Menschen nicht mehr Kinder bekommen, wird die Zivilisation zerbröseln!" Dieses Tweet ist etwas irritierend, denn es ist allgemein bekannt, dass unsere Population rasant wächst und die Überbevölkerung bereits erhebliche Probleme für unsere Zivilisation verursacht. Es ist anzunehmen, dass er mit seiner Aussage die sinkenden Geburtenraten in den Industrieländern gemeint hat und damit auf mögliche wirtschaftliche Nachteile anspielt, da weniger Menschen in den reichen Ländern auch weniger Konsum, weniger Umsatz und weniger Profit für einen Unternehmer wie ihn bedeuten. Seine Aufforderung mehr Kinder zu bekommen, dürfte also rein kapitalistisch begründet sein und ein Ausdruck dafür, dass Superreiche gerne noch reicher werden wollen und das Wohlergehen der „normalen“ Menschen ihnen ansonsten ziemlich egal ist. Seine zahlreichen Follower, inkl. der fanatischen Musk-Anhänger, „Musketeers“ genannt, nehmen ihm sowas gerne ab und kaum einer von ihnen wird sich fragen, ob jemand mit einem ökologischen Fußabdruck weit außerhalb der üblichen Messlatte ein guter Ratgeber in Bevölkerungsfragen sein kann.
- Die AfD wirbt auch für mehr Kinder kriegen, aber mit einer klar begrenzten Zielgruppe, nämlich nur für Deutsche. Das Motiv hier: Ein Mix aus Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das weckt hässliche Erinnerung an die Rassenhygiene der Nazis.

Wahlplakat der AfD aus dem Jahr 2017
Nicht nur in Deutschland sondern auch in vielen anderen Ländern wie Ungarn, Polen Türkei, Russland oder den USA haben nationalistische und rechtspopulistische Tendenzen in den letzten Jahren in erschreckender Weise zugenommen. Oft sind es sogar die Staatsregierungen und die Regierungschefs selbst, die sich unverhohlen xenophob präsentieren und sich für nationalistische Geburtensteigerungen einsetzen. Sie schüren und missbrauchen die Angst vieler Menschen vor einer unkontrollierten Zuwanderung von Ausländern für ihre nationalistische Ideologie und schlachten dieses Thema für Ihre Propaganda nun auch bevölkerungspolitisch aus. Seriöse entwicklungspolitische Organisationen hatten bisher mit dem Problem zu kämpfen, dass das Thema der Überbevölkerung vielfach mit einer rassistischen Haltung in Verbindung und dadurch in Verruf gebracht wurde. Nun kommt erschwerend eine Entwicklung hinzu, die eine Steigerung der Bevölkerungszahlen in den reichen Ländern forciert. Nicht selten gehen die extremen pronatalistischen Tendenzen mit Einschränkungen der Menschenrechte einher, z. B. indem Abtreibungen erschwert oder sogar ganz verboten werden.
Diese drei Beispiele zeigen, dass die Forderungen, mehr Kinder in die Welt zu setzen, nichts humanitäres ausdrücken, sondern lediglich egoistische Bestrebungen verschiedener Gruppierungen zur Steigerung der eigenen Machtpositionen darstellen (hier der kirchlichen, wirtschaftlichen oder völkisch-nationalistischen).
Wir müssen weniger statt mehr Kinder bekommen!
Das Sprichwort „Die Dosis macht das Gift“ gilt auch für uns Menschen. Wir sind zwar als Individuen in der Regel intelligente, einfühlsame und hilfsbereite Wesen, aber unsere Bevölkerung hat eine Größe erreicht, die für die Erde und alle anderen Lebewesen inzwischen höchst ungesund ist. Den oben zitierten (sehr fragwürdigen) biblischen Auftrag, uns die Erde untertan zu machen, haben wir im schlechtesten Sinne verwirklicht und sind dabei mit unserem Größenwahn weit über dieses zweifelhafte Ziel hinausgeschossen. Wir beherrschen die Erde nicht nur, sondern wir zerstören sie mit unserer unvorstellbaren Masse von acht Milliarden menschlichen Individuen, und es kommen jedes Jahr noch weitere 83 Millionen dazu. Die Folgen sind inzwischen überall auf der Erde spürbar, sei es in Form des Klimawandels, des Massenartensterbens, des Zusammenbruchs von Ökosystemen oder der Verschmutzung unserer gesamten Umwelt. Innerhalb von ca. 70 Jahren seit Beginn der industriellen Herstellung von Kunststoffen und Chemikalien haben wir bereits so viele Giftstoffe in unserer Welt verteilt, dass jeder von uns Teile davon unbemerkt mit der Nahrung zu sich nimmt. Selbst in der Plazenta ist Mikroplastik inzwischen nachweisbar und auch die Muttermilch schon seit Jahrzehnten weltweit mit Chemikalien belastet. Täglich verenden unzählige Tiere qualvoll an unserem Müll oder werden in der Massentierhaltung misshandelt und jedes Jahr verschwinden zigtausende Arten vollständig und unwiederbringlich, weil wir ihre Lebensräume vergiften und zerstören. Die fossilen Rohstoffe, mit einer Entstehungszeit von mehreren Millionen Jahren, werden von uns innerhalb einer Zeitspanne von wenigen Generationen ausgebeutet und mit einer grenzenlosen Gier nach immer mehr Wachstum verbraucht, verschwendet und verbrannt. In Folge dessen verändern wir das Klima, so dass eine Unwetterkatastrophe die nächste jagt.
Zu viele Menschen und zu viel Müll - unser Planet stirbt an den Folgen der menschlichen Maßlosigkeit.
Angesicht dieser Situation von zu wenigen Menschen zu sprechen und eine weitere Steigerung der Geburtenzahlen zu fordern, ist hochgradig verantwortungslos und von Egoismus und Verblendung geleitet. Wie kann die katholische Kirche, die hunderttausende Kinder sexuell missbraucht und grausamste Verbrechen an der Menschheit begangen hat, sich anmaßen, junge Menschen bezüglich ihrer Familienplanung zu kritisieren und immer noch als selbsternannte moralische Instanz zu agieren? Wir brauchen in Sachen Bevölkerungsentwicklung auch keine Belehrung von einem Multimilliardär, der aus einer wachsenden Bevölkerung noch mehr Profit für sich schlagen will. Und am allerwenigsten brauchen wir völkische Geburtenpropaganda fanatischer Nationalisten.
Wir müssen uns klar gegen pronatalistische Bewegungen positionieren und uns entschieden für weniger Geburten, kleine Familien und einen nachhaltigen Umgang mit unserem Planeten einsetzen. Das geht vielleicht mit wirtschaftlichen Einbußen einher, aber inzwischen sollten alle verstanden haben, dass unser bisheriges Wirtschaften viele unserer heutigen Probleme verursacht hat und so nicht weitergehen kann. Der Preis für die Lösung dieser Probleme ist um ein Vielfaches höher, als die möglichen Nachteile bei einer Umstellung unserer Lebensweise zur Bekämpfung der Ursachen sein könnten.
Weniger Kinder zu bekommen bedeutet insbesondere in der westlichen Welt den größtmöglichen Beitrag, um unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Es bedeutet auch, die Chancen zu erhöhen, dass wir für die nachkommenden Generationen einen noch einigermaßen lebenswerten Planeten hinterlassen. Das altbewährte Prinzip von „Qualität vor Quantität“ sollte auch in der Familienplanung und der Erziehung gelten.
Ein Kind weniger zu bekommen, reduziert den ökologischen Fußabdruck deutlich mehr als alles andere.
„Birthstrike“ nennt sich die Bewegung, bei der junge Menschen (überwiegend Frauen) der Umwelt zuliebe überhaupt keine Kinder bekommen möchten und fordern damit die Regierungen auf, mehr für den Umweltschutz zu unternehmen. Wenn man bedenkt, wie tief der Wunsch nach Kindern und einer eigenen Familie von Natur aus in uns verwurzelt ist, dann verdient diese Einstellung höchste Anerkennung. Leider ernten insbesondere Frauen, die sich zu dieser Bewegung bekennen oder aus anderen Gründen keine Kinder bekommen möchten, sehr oft Unverständnis, Ablehnung und Anfeindungen. Sie sind es aber, die wir in ihren Haltungen bestärken und unterstützen sollten, anstatt jene, die uns mit scheinheiligen Argumenten in die Irre führen wollen.
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